Foto Dr. Gasteiner
    (C) HBLFA Raumberg-Gumpenstein

    Vielfalt in der Ausbildung ist eine Bereicherung

    (C) HBLFA Raumberg-Gumpenstein

    Vielfalt in der Ausbildung ist eine Bereicherung

    „Wer die Zukunft verändern will, der muss die Jugend mit ins Boot nehmen, denn sie ist die Zukunft.“ In einem Interview mit Ulrich Ahamer von der Raiffeisenzeitung gibt unser Direktor Dr. Hans Gasteiner Antworten zum Wertewandel in der Landwirtschaft, deren Bedeutung für die Gesellschaft und wie unsere Schule damit umgeht.

    Seit drei Monaten ist Johann Gasteiner Direktor der landwirtschaftlichen Lehr-und Forschungseinrichtung (HBLFA) Raumberg-Gumpenstein. Die steirische Schule, der er jetzt vorsteht, hat er selbst besucht. Rund ein Drittel der Schüler von dort werden mittelfristig einen Hof übernehmen, die Mehrheit geht andere Wege. Deshalb ist Gasteiner Offenheit und Diversität gegenüber neuen Ideen umso wichtiger, wie er im folgenden Gespräch erläutert. Markante Punkte für ihn sind: "In der Schulausbildung brauchen wir keine wissensbefreite Meinung." Und: "Trotz aller Technik ist der Mensch für die Umwelt und für die Tiere verantwortlich."

    Ulrich Ahamer: Auf welche Land-und Forstwirtschaft werden heutige 14-jährige Mädchen und Burschen im Jahr 2022 vorbereitet?

    Johann Gasteiner: Die Jugendlichen lernen die Grundlagen der Landwirtschaft, ganz gleich ob sie aus der Stadt oder vom Land kommen. Wir legen dabei einen großen Schwerpunkt auf die Kreislaufwirtschaft - die Betriebsmittel sollen nach Möglichkeit aus der Region kommen, je mehr zugekauft wird, umso klimaschädlicher wird der Betrieb. Die Ergebnisse der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Gumpenstein fließen in den Unterricht ein. Die Schülerinnen und Schüler lernen mit dem Programm "FarmLife". Dabei wird etwa die ökonomische und ökologische Effizienz des Betriebes untersucht.

    Ulrich Ahamer: Wie sehr unterscheidet sich die Ausbildung, die Sie selbst an dieser Schule durchlaufen haben, von der heutigen?

    Gasteiner: Der Unterschied ist riesig. Ich war in den 80er-Jahren an der Schule, diese Zeit und die Dekaden davor waren geprägt von der Produktion - die produzierte Menge pro Fläche, pro Tier war entscheidend. Es wurde produziert, wer es wo und wie verkaufen kann, war nicht relevant. Umweltthemen, wie es den Tieren geht, die Biodiversität, der Ressourcenverbrauch das waren Randthemen. Personen, die das angesprochen haben, wurden nicht gehört. Gezählt hat der monetär bewertbare Ertrag, das war es. Diese Blickweise hat sich extrem stark gewandelt. Neben den ökonomischen Aspekten zählen heute zum Beispiel Biodiversität und Tierwohl - wiewohl der höhere Aufwand natürlich abgegolten werden muss.

    Ulrich Ahamer: … und die Schüler?

    Gasteiner: Es gibt viele Unterschiede. In Rhetorik, Präsentationstechnik sind sie sehr gut drauf. Zu meiner Zeit dümpelte das so vor sich hin. Die Jugendlichen sind mobiler und flexibler und haben eine hohe technische Kompetenz. Im sozialen Bereich, bei der zwischenmenschlichen Kommunikation gibt es vielleicht etwas aufzuholen.

     

    Ulrich Ahamer: Was gibt Raumberg mit auf den Weg?

    Gasteiner: Das Rüstzeug ist das Fachwissen. Was wir wirklich nicht brauchen ist wissensbefreite Meinung, die irgendwo herumschwirrt. Wer etwa glaubt, dass tierhaltende Landwirte per se bereits Tierquäler sind, der irrt, das ist eine wissensbefreite Meinung. Bei uns wird gelehrt, unter welchen Rahmenbedingungen Tiere gehalten werden dürfen, was im Tierschutzgesetz steht, was kontrolliert wird und wie die Haltungsbedingungen verbessert werden können.

    Ulrich Ahamer: Wie sehen Sie den Stellenwert, die Bedeutung der Landwirtschaft in der Bevölkerung?

    Gasteiner: Ich glaube, dass man da zwischen der Bedeutung und der Empfindung für die Bedeutung unterscheiden muss. Die Bedeutung war immer groß, weil die benötigten Lebensmittel produziert und Kulturlandschaft dadurch gestaltet werden. Die Wertschätzung und das Interesse daran sind ebenso gestiegen. Mag sein, dass da und dort ein weniger zutreffendes Bild entstand. Vieles ist nicht Realität - die ist ziemlich direkt und hart. Tiere in der Landwirtschaft sind beispielsweise Nutztiere und nicht nur zum Streicheln da.

    Ulrich Ahamer: Wie hoch ist der Anteil der Jugendlichen von bäuerlichen Familien in der HBLFA?

    Gasteiner: Wir erheben das nicht exakt, aber es ist etwa die Hälfte. Jene, die nicht aus der Landwirtschaft kommen, werden aber immer mehr. Etwa ein Drittel geht in die Landwirtschaft zurück, ebenso viele finden Arbeit in der Wirtschaft oder gehen studieren.

    Ulrich Ahamer: Wären Sie gerne Direktor einer Schule nur für Kinder aus der Landwirtschaft?

    Gasteiner: Nein, überhaupt nicht. Ich empfinde es als enorme Bereicherung, wenn es viele unterschiedliche Herkünfte gibt. Es sind ja nicht nur Schüler, sondern auch die Eltern, die Anteil am Gelernten nehmen, sich einbringen, sich für die Landwirtschaft interessieren und Fragen stellen, die sich von einem Bauernhof stammende nie gestellt hätten.

    Ulrich Ahamer: Welche Rolle wird die Landwirtschaft als Energieproduzent haben? Inwiefern ist die Schule hierbei aktiv?

    Gasteiner: Zur Schule gehört ein Forst samt Eigenjagd, die Schüler nutzen den Wald in allen Facetten. Wir haben viele Photovoltaikpaneele auf den Dächern, Aufwand und Ertrag werden genau kalkuliert, die Doppelnutzung von landwirtschaftlichen Flächen wird aktuell beforscht, auch im Hinblick auf die Biodiversität.

    Ulrich Ahamer: Verändert sich das Bild der Jugendlichen in den Jahren an der Schule hinsichtlich Landwirtschaft, Konsumenten, Handel, Gewerbe und Industrie?

    Gasteiner: Die Schüler sind schon stark geprägt, in sich gefestigt, wenn sie zu uns kommen. Sei es die Art der Landwirtschaft oder die städtische Herkunft, auch die Ernährungsund Lebensweise spielen eine große Rolle. An der Schule bekommen sie einen tieferen Einblick, Zusammenhänge werden aufgezeigt - auch um sich hinterfragen zu können. Ist der eingeschlagene Weg passend oder gibt es interessante Alternativen? An der Schule zeigen wir die Optionen, geben aber keine Richtung vor, das ist immer eine sehr persönliche Entscheidung.

    Ulrich Ahamer: Stichwort Digitalisierung: Ist die künftig selbstverständlicher Teil auch der kleinräumigen Landwirtschaft oder doch eher etwas für Großbetriebe?

    Gasteiner: In der Forschungsanstalt Gumpenstein spielt die Digitalisierung in der Landwirtschaft eine große Rolle. Grundsätzlich ist in jedem Fall die Sinnhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit zu prüfen, der Einsatz kann auch für kleinere Betriebe, etwa zur Brunsterkennung, sinnvoll sein. Trotz aller Technik braucht es aber Menschen, die sich mit den Bedürfnissen der Tiere auseinandersetzen und mit den gelieferten Daten richtig umgehen können. Es ist ein gutes Werkzeug, für den treffenden Einsatz braucht es aber viel fachliches Wissen und Hirn.

    Ulrich Ahamer: Sie sind seit 20 Jahren in der Forschung tätig, haben Sensoren mitentwickelt, die global eingesetzt werden. Wie profitiert die Schule davon?

    Gasteiner: Wichtig ist, dass man Fragestellungen offen angeht und die Ergebnisse akzeptiert. In der Forschung muss man Neues mögen und immer neugierig sein. Etwa in der Agrarphotovoltaik. Vor zwei, drei Jahren haben alle gesagt, das darf nie kommen. Tatsache ist, das wird kommen, ob es mir passt oder nicht. Dementsprechend setzen wir in der Forschung ein Projekt auf und hoffen auf ein gutes Ergebnis. Die Schüler dürfen auch nicht glauben, dass es nur einen Weg für sie gibt. Die Verschränkung der Landwirtschaft mit anderen Disziplinen etwa macht sehr viel Sinn. Weiterentwicklung und lebensbegleitendes Lernen sind dabei unbedingt notwendig. Dazu gehört auch der Blick über den Tellerrand oder der über die Grenzen.

    Johann Gasteiner zitiert: „Wer die Zukunft verändern will, der muss die Jugend mit ins Boot nehmen, denn sie ist die Zukunft.“

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